Respekt – dieses Wort hat etwas Preußisches: „Ein bisschen mehr Respekt, bitte!“ Man sieht förmlich die ältere Dame oder den älteren Herrn im Bus stehen, der/die den jüngeren Menschen, der auf seinem Platz sitzt, streng anschaut und sagt: „Würden Sie gefälligst aufstehen – ich möchte mich gerne setzen!“ Und doch bedeutet Respekt so viel mehr.
Ich erzähle heute die Geschichte einer älteren Dame namens Thea, die auf wundersame Weise zusammen mit zwei jungen Mädchen erfahren hat, wie man sich gegenseitig respektieren kann.
An einem Sonntag Nachmittag stieg Thea in den Bus, um in die Stadt zu fahren. Sie las gerne, und darum fuhr sie in die Bahnhofsbuchhandlung, in der es immer ein gutes Angebot an Büchern gab. So machte sie es am Wochenende öfters, wenn ihr der Lesestoff ausging. Aber an diesem Sonntag war alles anders. Thea war klein und unauffällig, aber stets schick und modisch gekleidet, auch wenn sie bereits 75 Jahre alt war. Sie machte kleine Schritte und konzentrierte sich darauf, den Weg in die Buchhandlung sicher zu gehen ohne zu stolpern. In einer Ecke des Bahnhofs saßen zwei Mädchen, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt. Als sie Thea sahen, kicherten und tuschelten sie untereinander. Was fanden sie so komisch? Wie Thea vorsichtig einen Schritt nach dem anderen setzte? Dass sie eine ältere Dame war? Weil es ihnen langweilig war und sie sich über die Leute amüsierten, die an diesem Sonntag im Bahnhof unterwegs waren?
Thea war irritiert: warum lachten die Mädchen über sie, warum tuschelten sie untereinander? Also tat sie etwas, was sie noch nie gemacht hat: sie ging zu ihnen, beugte sich herunter und fragte: „Was ist los? Warum macht Ihr Euch denn über mich lustig?“. Sie lachten und sagten peinlich berührt: „Du siehst so komisch aus!“ Thea sagte: „Aber warum? Was ist so komisch an mir?“ Darauf entgegneten sie: „Hey, Du bist so alt und gehst so komisch, das sieht total merkwürdig aus!“
Und dann geschah etwas ganz Besonderes. Denn Thea setzte sich neben sie auf den Boden und sagte: „Ich möchte mich gerne mit Euch unterhalten. Fragt mich einfach, was Ihr wollt. Ich möchte gerne verstehen, warum Ihr so zu mir seid…“ Und dann wurden die Mädchen plötzlich ernst und sagten: „Wir haben gelacht, weil Du so komisch gegangen bist und nicht nach rechts und links geschaut hast.“ „OK“, sagte Thea, „ich bin schon ein bisschen älter und hatte einen kleinen Schlaganfall. Da muss ich aufpassen, wie ich meine Schritte setze, damit ich nicht stolpere und hinfalle. Ich lese sehr gerne und ich habe mein Buch fertig gelesen. Deshalb bin ich mit dem Bus zum Bahnhof gefahren und möchte mir ein neues Buch kaufen.“ – „Was liest Du denn so? Heimatromane?“ – „Nein, Science Fiction und Thriller.“
Die Mädchen – sie hießen Lynn und Julia – waren jetzt ziemlich überrascht, weil sie damit nicht gerechnet hatten. Thea lächelte sie freundlich an. Damit hatten die Beiden nicht gerechnet: die alte Dame ist ja irgendwie richtig in Ordnung!
Die drei Frauen unterhielten sich dann noch eine Zeitlang über ihre Lieblingsautoren, fachsimpelten über Psychothriller, ihr Leben als Gymnasialschüler und Rentner und merkten, dass sie gar nicht so unterschiedlich tickten – nur, dass sie unterschiedlich alt waren. Thea erzählte von ihrer Schulzeit in den 40er Jahren, die beiden Mädchen klagten über ihre bekloppten Lehrer, die sie in Mathe und Bio haben.
Eine halbe Stunde und viele nette Dialoge später sagte Thea dann, dass sie nicht mehr auf dem Boden sitzen könne, weil ihr der Rücken wehtat. Julia stand auf, gab ihr die Hand und half ihr, aufzustehen. „Du bist besser drauf als viele unserer Klassenkameraden!“, sagte Lynn. „Und tut uns echt leid, dass wir Dich eben verarscht haben – sorry nochmal, das war total blöd von uns!“ Lynn, Julia und Thea umarmten sich herzlich zum Abschied. „Alles Gute für Euch“, sagte Thea, als sie langsam Richtung Buchhandlung ging. „Hol‘ Dir das neue Buch von Sebastian Fitzek, das ist bestimmt genau Dein Ding!“, sagte Julia. „Danke für den Tipp, mach ich! Tschüss!“, sagte Thea. Beim Weggehen hörte sie noch, wie die beiden Mädchen sagten: „Boah, die war ja richtig gut drauf! Respekt!“
Respekt muss man sich manchmal verdienen. Nicht, indem man ihn einfordert, sondern indem man anderen Menschen auf Augenhöhe begegnet. Und die Menschen ernst nimmt, wenn sie Dich auch ernst nehmen. Respekt ist kein blindes Gehorchen, keine originär preußische Tugend – Respekt ist das gegenseitige Anerkennen der vernünftigen Meinung des Gegenübers. Auch wenn man unterschiedlich alt ist, vielleicht anders aussieht oder so manches anders sieht: man kann sich gegenseitig respektieren, wenn man offen für den Dialog ist und bereit, den Horizont zu erweitern. Nur so kann ein Miteinander funktionieren.
Dies ist eine wahre Geschichte, die sich 2010 zugetragen hatte. Thea, die mir diese Geschichte erzählte, war meine Mutter. Und ich muss noch heute sagen:
RESPEKT!
Eine wirklich schöne Geschichte. Meine Mutter ist ähnlich drauf. Sie redet ganz viel mit sehr vielen verschiedenen Leuten. Meistens gehts von ihr aus. Ich veräppel sie manchmal, in dem ich sie Mutter Beimer nenne. Nein, ich finde es schön, wenn man als alter Mensch (sie ist 86) noch so kommunikativ ist. Übrigens schließt das sehr junge Menschen mit ein. Es ist dabei wohl sehr wichtig, sich einander auf Augenhöhe, resp. mit Respekt, zu begegnen. Dann kann man solche Sachen erleben.
Hallo Horst, sorry für die verzögerte Antwort, aber ich habe abends jetzt immer etwas vor – ich habe zu Weihnachten die komplette Serie FRINGE auf DVD bekommen, eine meiner absoluten Lieblingsserien. Da ende ich abends ab und zu mal vor dem Fernseher 😉
Das mit Deiner Mutter ist sehr cool. Ich finde, Kommunikation ist der Schlüssel zu ganz vielem. Nette Kommunikation macht sympathisch, und das mag ich. Da ich ja seit 1. Dezember einen neuen Job und viele neue Leute kennengelernt habe, setze ich mich damit natürlich auch auseinander: wer tickt wie? Wie kommuniziert man mit wem? Welche neuen Erkenntnisse gewinnt man dabei? Die meisten neuen Kollegen sind wirklich sehr aufgeschlossen und man kann sich prima mit ihnen unterhalten, auch fachlich. Eine Kollegin hatte am Anfang wohl irgendein Problem mit mir – warum auch immer – aber seit ein paar Tagen scheint sich das gelegt zu haben und wir kommen miteinander klar.
Dieser Artikel wird übrigens auch im Gemeindebrief der Ev. Kirchengemeinde Overath erscheinen, dort bin ich Redakteur (obwohl ich zwar keiner Konfession mehr angehöre, aber das ist kein Hindernis).
Im Moment ist es in der Blogsphäre noch ruhiger als sonst. Jedenfalls kommt es mir so vor. Meine Frau und ich sind auch Serienseher. Immer, wenn wir eine für uns entdeckt haben, dann sitzen wir manchmal noch bis 2-3 Uhr am Fernseher und finden einfach kein Ende.Die Chemie muss nicht immer gleich zu Beginn einer Bekanntschaft stimmen. Ich habe das auch erlebt. Es war eine Kundin, die mir echt die Hölle heißgemacht hat. Später sind wir richtig gut miteinander ausgekommen. Wenn sie ein Anliegen hatte, sprach sie nur mit mir.