Als Science-Fiction-Fan wurde ich gestern auf eine neue Serie bei Amazon Prime Video aufmerksam; mal wieder etwas, auf das ich mich sehr freute. Denn oft geht es uns so, dass wir abends vor der Glotze sitzen und wirklich nichts finden, was uns gefällt. Serienkiller, Banden und Clans, Action, Vampire und Zombies wollen wir einfach nicht mehr sehen. Umso mehr freute ich mich, als „Tales From The Loop“ für alle Amazon-Prime-Kunden ab sofort kostenlos verfügbar war. Ich hatte vorher nie von dieser Mini-Serie gehört, aber das Thema schien mir sehr interessant.
ACHTUNG: Der Artikel könnte Spoiler enthalten. Ich versuche, so wenig wie möglich zu spoilen, aber es könnten Informationen „durchrutschen“.
THEMEN IN DIESEM BEITRAG
Was ist es?
„Tales From The Loop“ ist eine amerikanische Miniserie von 2019, die nach Bildern des schwedischen Künstlers, Musikers und Designers Simon Stålenhag entstand. Richtig gelesen: eine Serie, die auf Bildern eines Künstlers basiert. Simon Stålenhag erschafft „retrofuturistische Bilder“, die vollkommen anachronistisch sind. Einerseits sieht man Technik, die es nicht gibt, die aber aussieht, als ob sie in den 70er Jahren entstanden sei. Manches erinnert an alte sowjetische Relikte, an alte Sojus-Kapseln. Andererseits lässt sich die Handlung in keine bekannte Zeit verorten, tendenziell sieht aber alles aus wie gegen Ende der 70er Jahre. Mit ein wenig Fantasie könnte es auch Anfang der 90er sein – es ist fast unmöglich, die Zeit der Handlung genau zu bestimmen. Das macht die ganze Serie sehr mysteriös, aber niemals bedrohlich.
Jede Folge ist in sich abgeschlossen, alle Zusammenhänge und Personen sind aber miteinander verbunden. Man könnte sagen, „Tales From The Loop“ ist eine Anthologie-Serie (also eine Serie, deren Folgen nicht aufeinander aufbauen), aber eben nur fast. Der Stil ist mit nichts vergleichbar, was man kennt, ich bezeichne es als „Soft-Sci-Fi-Dramaserie“. Am ehesten vergleichbar ist es mit einigen Folgen von „Black Mirror“, aber trotzdem ganz eigen. Das Erzähltempo ist sehr ruhig, entschleunigt. Manch einer würde vielleicht sagen „langweilig“. Aber das ist es nur, wenn man sich nicht darauf einlässt. Ich habe mich darauf eingelassen und bin fasziniert.
Am Beeindruckensten ist für mich die Optik. Es ist eine Welt, die wir kennen, die sogar ziemlich europäisch aussieht, obwohl sie mitten in Amerika angesiedelt ist. Und da sind diese Artefakte, die nicht so recht in die Stadt, in der die Serie spielt, passen wollen, aber auf kuriose Art dort ganz selbstverständlich integriert sind und niemand Notiz davon nimmt. Vielleicht, weil die Einwohner das schon viele Jahre kennen und es nichts Besonderes mehr für sie ist.
Worum geht es?
In der Kleinstadt Mercer in Ohio gibt es seit etlichen Jahren einen unterirdischen Forschungskomplex, den „Loop“. Offiziell wird dort Teilchenphysik erforscht, in der Praxis ist es aber so, dass in den unterirdischen Anlagen ein großes, kugelförmiges Objekt – genannt „die Eklipse“ – aufbewahrt wird. Die Eklipse wummert und dröhnt, bewegt sich aber nicht. Sie besteht aus einzelnen Fragmenten, die wie Mosaiksteine aussehen und die locker zu einer schwebenden Kugel zusammengesetzt sind. Russ, ein alter Mann und der Erbauer des Loop, forscht hier mit einem großen Team seit Jahrzehnten an der Eklipse, ohne ihr Geheimnis bisher gelüftet zu haben.
In Mercer arbeitet ein Großteil der Einwohner im Loop, viele Meter unter der Erde. Sie gehen morgens in ein altertümlich-futuristisches Betongebäude und kommen nach getaner Arbeit abends wieder heraus. Die Stadtbewohner haben sich daran gewöhnt, dass in Mercer vieles ganz anders ist. Im Wald lebt ein Roboter, der ungefähr so aussieht wie ein AT-ST-Walker aus Star Wars, aber mit Retro-Lackierung auf dem Blechkleid und freundlichem Aussehen. Nichts, wovor man Angst haben müsste. Allerdings weiß man nicht, warum er dort im Wald lebt. Es interessiert auch niemanden, man hat sich daran gewöhnt. Kinder werfen manchmal Steine auf seine Scheinwerfer, aber er ist geduldig und steht einfach nur da. Manchmal steht er auch Abends eine Zeitlang vor einem Haus in der Nachbarschaft und geht dann irgendwann wieder über die Straße zurück in seinen Wald.
Und dann sind da auch noch die anderen Artefakte von einstigen Experimenten: große, teilweise rostige Objekte, die aussehen, als wären sie von den damaligen Sowjets konstruiert worden. Mit abgeblättertem Lack und Nummern drauf, z.B. N-700. Diese Objekte haben teilweise Fähigkeiten, die die Vorstellungskraft sprengen, obwohl sie alt und kaputt aussehen. Beispielsweise gibt es da ein Gerät, das einer verbeulten Thermoskanne ähnelt, das zwei Glaszylinder im Inneren hat, und mit dem man die Zeit anhalten kann.
In der Stadt gibt es mehrere Anlagen, die zum Loop gehören, z.B. vier riesige Kühltürme, die aber so merkwürdig aussehen, dass man sich fragt, wer diesen Wahnsinn konstruiert hat. Außerdem gibt es in Mercer einen See, an dessen Ufer seltsame technische Dinge aufgebaut sind, die nach 70er-Steampunk aussehen: Metallskelette mit Blechverkleidung und Industrielackierung. Im See stehen große Konstruktionen, die sich nach der Windrichtung ausrichten. Im Wald gibt es eine kugelförmige Kapsel, die sehr merkwürdige Eigenschaften hat (mehr wird hier nicht verraten, schaut Euch Folge 2 an). Die Scheune, die ein Nachbarsjunge streicht, hat auf dem Dach einen riesigen, halbkreisförmigen Aufsatz, dessen Funktion gänzlich unbekannt ist.
In jeder Folge erleben ein oder mehrere Einwohner dieser Kleinstadt merkwürdige Begebenheiten. Dabei geschieht dies nie isoliert, sondern eingebettet in den Gesamtkontext der Einwohner.
Der Loop ist in Deinem Kopf
Klassische Serienmuster haben einen Plot, der die Dinge am Ende aufklärt. „Tales From The Loop“ macht das nicht. Die Erklärung ergibt sich ganz individuell, im Kopf von jedem Zuschauer. Es gibt nur wenige Erklärungen, aber eine Rahmenhandlung, die Euch das Handwerkszeug gibt, selbst eine Erklärung zu finden. Es ist ein großes Rätsel, was da in Mercer schon seit vielen Jahren stattfindet.
Die Einwohner leben mit den Merkwürdigkeiten. Sie leben in ihrer kleinen, meist freudlosen Welt. Es wird nicht gelacht in der Serie. Die Musik ist sehr ruhig, die Stimmung ist auf merkwürdige Weise trotzdem friedvoll. Es liegt eine große Ruhe über dem Geschehen. Niemand macht sich Gedanken, was es mit den Artefakten, die wahrscheinlich auf frühere Experimente mit der Eklipse zurückgehen, auf sich hat. Sie sind in den Alltag der Menschen integriert.
Ein alter, beigefarbener Volvo wird von einem Wartungstechniker gefahren. Aber auch dieses alte Auto hat eine Besonderheit: auf seinem Dach ist ein Roboterarm montiert, mit dessen Hilfe er die Wartungsarbeiten an diversen Schaltschränken macht, die in der Landschaft stehen und die zum Loop gehören. Denn irgendwie gehört in dieser Stadt alles zum Loop…
Jetzt könnte man sich natürlich fragen „Und wozu das Ganze?“. Die Antwort bleibt unbefriedigend: man weiß es nicht. Man weiß nur, dass es den Loop und die darin enthaltene Eklipse gibt, aber man weiß nicht, warum. Und das ist in diesem Fall auch gut so, denn das Gehirn fängt an zu rattern. Man muss gar keine „offizielle“ Auflösung kennen, um der Serie zu folgen. Vielleicht gibt es auch gar keine. Man ist erstaunt, was da passiert, bringt unwillkürlich alles in einen Kontext, und irgendwann hat man für sich persönlich eine Erklärung gefunden.
Jede einzelne Episode stellt Fragen. Was ist passiert, dass es mich gleichzeitig in einer jungen und in einer alten Version gibt? Was kommt nach dem Tod? Was würde ich tun, wenn ich die Zeit anhalten könnte? Wie ist es, wenn ich mit einer anderen Person das Bewusstsein tauschen könnte? Diese Fragen werden zum Teil beantwortet, zum Teil aber auch nicht. Und über allem schwebt das Mysterium, warum es den Loop gibt und wo er herkommt. Was er will. Was er mit den Bewohnern der Stadt macht.
Ich denke, jeder wird früher oder später seine eigene Erklärung gefunden haben. Ich habe meine zum Teil gefunden, aber ich denke, auch diese werde ich revidieren müssen, wenn ich alle Folgen gesehen habe. Für mich geht das in die Richtung wie die schlussendliche Erklärung bei Torchwood: Miracle Day.
„Tales From The Loop“ ist keine Serie, die man so nebenbei konsumiert; ganz im Gegenteil, das kann nicht funktionieren. Man braucht Zeit, aber man wird belohnt. Mit unvergesslichen Bildern und mysteriösen Begebenheiten, die aber nie furchterregend sind. Die Serie strahlt eine große Ruhe aus. Wer auf der Suche nach violetten Energiestrahlen, Explosionen, Verfolgungsjagden und coolen Dialogen ist, sollte sich lieber etwas anderes anschauen.
Dabei sind die sparsam eingesetzten Spezialeffekte umso beeindruckender: wenn eine ganze Stadt in der Zeit eingefroren ist oder der Roboter durch die Wohnsiedlung marschiert, sieht das so natürlich und perfekt aus, als ob es real wäre.
Wer still genießen und sich immer wieder aufs Neue wundern möchte, warum große Roboter durch den Wald marschieren und Häuser sich auflösen, sollte unbedingt in die Serie reinschauen. Die entstehenden Fragen müsst Ihr Euch zum großen Teil selbst beantworten, aber ich kann Euch versichern: mit ein wenig Fantasie ist das machbar.
Die Rezensionen bei Amazon sind ein wenig gemischt, die Serie polarisiert. Viele Zuseher finden sie außergewöhnlich, aber auch ein recht großer Teil schreibt „langweilig, seelenlos, ‚was soll das?'“. Relativ bescheuert fand ich die Rezension: „unser kleiner Farm von 1979 war schon interessanter als das Serie absolut langweilig“. Macht Euch Euer eigenes Bild, vielleicht mit den Informationen, die ich Euch hier gegeben habe, im Hinterkopf.
Habt Ihr schon eine oder mehrere Folgen gesehen? Wenn ja, was ist Eure Meinung? Und wenn nein, würdet Ihr „Tales From The Loop“ eine Chance geben? Lasst es mich in den Kommentaren gerne wissen.