An diesem Samstagmorgen wurde Kelly von gleißend hellem Sonnenschein geweckt, der durch die geöffneten Fenster schien. Tim war schon angezogen und packte Taschen, das Radio spielte gutgelaunte Musik. „Hey Tim, schon so früh auf?“ – „Na klar, wir fahren doch gleich zum Meer!“ Kelly stand auf, zog sich an und war voller Erwartung, wo es hinging. „Lass‘ dich überraschen!“, sagte er freudig.
Wenig später standen sie am Auto und luden die Taschen in den Kofferraum. Tim setzte sich hinter das Lenkrad und ließ den Motor an. „Wir sind schneller da, als du denkst.“ – „Aber wo fahren wir denn hin?“ – „Ich habe vor Kurzem diesen Ort entdeckt, nicht weit entfernt, da ist ein Meer und wir können dort einen wunderbaren Tag verbringen!“
Tim bog auf die Hauptstraße in eine Richtung ab, in die sie sonst nie fuhren. Kelly sah aus dem Fenster. Die Fahrt ging durch Wälder, dann über lange Landstraßen. Als sie später in den Bergen waren, wurde sie müde. Wie lange waren sie denn schon unterwegs? Sie konnte die Zeit nicht abschätzen. Dann schlief sie ein. Tim fuhr weiter, die Straße schlang sich in Serpentinen den Berg hinauf. Er hatte das Navi nicht eingeschaltet, denn er kannte den Weg auswendig, obwohl er ihn erst einmal gefahren war. Es war ganz einfach, man musste nur einen Weg einschlagen, den man sonst nicht nimmt. Und nach einiger Zeit, die weder lang noch kurz war, waren sie oben auf den Bergen angekommen und er konnte das Ziel sehen: ein sonnendurchflutetes Tal und ein weites Meer am Horizont. „Hey, aufwachen, wir sind gleich da!“. Kelly rieb sich die Augen und sagte: „Wo sind wir?“ – „Das weiß ich auch nicht so genau, das ist ja das Verrückte. Ich weiß, wie ich hierhin komme, aber ich weiß nicht, wie es heißt. Ich habe den Ort durch Zufall gefunden. Ich weiß auch nicht, welches Meer das ist, aber es ist einfach wunderschön hier.“
Sie fuhren in das helle Tal, immer weiter in Richtung des Meeres. Die Straßen und die Häuser, an denen sie vorbeifuhren, waren sehr gepflegt, die Wiesen waren grün und alles war aufgeräumt und sauber, aber es gab keinen Anhaltspunkt, wo sie sich genau befanden. Auf einem großen, weitläufigen Parkplatz hielten sie an und stiegen aus. Man musste weder eine Parkscheibe auslegen noch Geld für das Parken bezahlen. Dann gingen sie die breite Treppe zum Strand herunter, es waren nur wenige Stufen. Der Sand war weiß und alles war so hell. Viele Menschen lagen auf Badetüchern in der Sonne. Sie sahen glücklich aus, während einige Kinder zwischen ihnen spielten. Tim und Kelly suchten sich einen freien Platz, legten die Taschen und ihre Badetücher auf dem warmen, weißen Sand ab.
Man konnte das Meer sehen und die Wellen, die an den Strand spülten. In einiger Entfernung war eine Stadt zu erkennen, mit glitzernden, schönen, hohen Gebäuden. Die Beiden zogen sich ihre Badesachen an und gingen ins Wasser. Es war ganz warm und angenehm. Danach gingen sie an der Wasserlinie eine lange Strecke über den Strand, bis es leerer wurde und kaum noch Badegäste anzutreffen waren.
„So einen schönen Strand habe ich noch nie gesehen.“ – „Als ich das erste Mal hier war, konnte ich es auch nicht glauben. Alles ist so hell und warm. Aber ich weiß nicht, wo wir sind. Und ehrlich gesagt ist es mir auch egal, denn wir können jederzeit wieder hierhin zurück.“ – „Ja, es ist schon ein bisschen merkwürdig. Aber ich danke dir, dass du mit mir diesen Ausflug gemacht hast. Das ist so ein schöner Tag. Und ich bin so glücklich wie lange nicht mehr.“
Doch nach einiger Zeit wurde das Wetter schlechter. Der Himmel verfinsterte sich zusehends und ein starker Wind kam auf. Sie gingen wieder zurück in Richtung ihres Platzes. Mittlerweile waren nicht mehr viele Menschen am Strand und die wenigen, die noch da waren, packten zusammen. „Ich glaube, jetzt müssen wir gehen.“ – „Meinst du, es gibt ein Unwetter?“ – „Vielleicht. Ich weiß es nicht.“
Nachdem sie ihre Sachen schnell zusammengepackt hatten, gingen sie die Treppen zum Parkplatz hinauf, beeilten sich, alles im Auto zu verstauen und fuhren eilig los. „Ich wäre gerne noch eine Zeitlang geblieben“, sagte Kelly. „Und ich hatte das Gefühl, dass die Zeit um ist. Als ob wir jetzt wieder weg müssen.“, sagte Tim. „Als wäre das nur ein Aufenthalt mit geschenkter Zeit. Es ist sonderbar. Beim letzten Mal war es auch so. Man merkt, wenn die Zeit um ist, dann muss man wieder weg. Aber man kann immer wiederkommen, wenn man möchte.“
Kelly war schon eingeschlafen, als Tim das Auto zurück über die Berge lenkte, über die Landstraße und durch den Wald. Als sie wieder zuhause waren, parkte er das Auto und weckte Kelly. „Habe ich das nur geträumt, dass wir am Meer waren? Es war warm und hell und schön und…“ – „Ich war mit dir dort, du hast nicht geträumt. Ich glaube, dass dieser Ort auf keiner Karte auftaucht, weil es ihn nur dann gibt, wenn man dort Zeit verbringen möchte. Und dass er ansonsten nicht existiert.“
„Ach, ist doch in Ordnung“, sagte Kelly, „solange wir dort immer wieder Zeit verbringen können, ist doch alles gut. Manchmal muss man nicht alles verstehen, sondern es einfach hinnehmen, wie es ist und genießen.“
Die Beiden nahmen ihre Taschen aus dem Auto und dabei rieselte eine kleine Spur weißen Sandes auf den schwarzen Asphalt. Während sie eilig ins Haus gingen, wurde er vom einsetzenden Regen weggespült, als wäre er nie da gewesen.