Die Generation 1&1

Werbung hat schon viel bewegt. Und jede Generation hat ihre total über-stilisierten Archetypen geschaffen. Hier bekommt Ihr einen Überblick über die aktuelle Werbe-Generation und erfahrt, dass es früher auch nicht anders war…

Golf  II – die 80er

Generation GolfKennt Ihr noch die sog. ‚Generation Golf‘? Smarte Jungs und Mädels, die von Papi das erste eigene Auto gesponsert bekamen, die Schule mit Bravour absolviert hatten (entweder Mittlere Reife oder Abi), mit Tennissocken die Welt und unter den Armen und anderswo unrasiert mit VoKuHiLa-Frisur die Dorf- und Laserdiscos der damaligen Welt eroberten? Nein, kennt Ihr nicht?

Dann seid Ihr womöglich aus einer anderen Generation, nämlich der ‚Generation 1&1‘. Und diese Generation werdet Ihr jetzt ein bißchen besser kennen lernen. Und all‘ die anderen Werbe-Illusionen der letzten Jahre auch.

Zeitsprung: 2009

Mittlerweile grinsen uns von überall her konsumfreudige, perfekt aussehende, charts-hörende und gut verdienende junge Menschen mit tollem Einheits-Geschmack an. Und wenn’s ein bißchen edel-subversiver sein soll, dann hören sie eben Club/Dance/House, sind independent, haben einen Retro-Ghettoblaster auf den Schultern und einen iPod in der Hand. Fragen sich insgeheim, was ‚Retro‘ eigentlich bedeutet, aber nicht wirklich, denn es ist einfach ‚ubercool‘. Und es ist ubercool, nerdige East-Pak-Accessoires durch die Gegend zu schleppen, weil die ganzseitige Werbung für diese Rucksackfirma eben megageil ist. Und merken dabei nicht, dass ihr wilder Stil-MischMasch schon längst wieder opfermäßig sowas von out ist.

Wir sprechen hier von der ‚Generation 1&1‘, den gut aussehenden, trendigen und markenbewussten Menschen, die gelernt haben, dass man gut aussehen und fleißig Markenartikel kaufen muss. Mit Music-Flatrate und einem riiiiesigen Software-Paket, das man eh‘ nicht bedienen kann. Aber hey, ist doch egal, Hauptsache trendy, megacool und was weiß ich noch alles. Man könnte auch ‚Generation T-Mobile‘ sagen – denn das ist irgendwie das Gleiche.

glückliches PaarOrt der Handlung: mein Klo. Die ‚Generation 1&1‘ stellt sich mir vor.

Ich lese eine aktuelle Zeitschrift und mir flattert ein Flyer der Firma 1&1 entgegen, um den Weg auf den Toilettenboden zu finden. Ich hebe ihn auf und ich sehe eine junge, schöne, grinsende Dame mit perfekt manikürten Fingernägeln, die einen Camcorder in der Hand hält. Auf der nächsten Seite grinst sie mich schon wieder an, diesmal ein Notebook in der Hand. Sie kann beide Geräte scheinbar perfekt bedienen und holt aus ihren Urlaubsbildern das Optimale heraus. Sie ist hip, verdient gut und kann sich viele unsinnige Produkte leisten, die sie nicht mal kennt und die ihr Leben besser machen. Zusammen mit ihrem hübschen Freund grinsen beide um die Wette, als sie ihre Urlaubsfotos vom Strand zeigen. Auf dem Flyer, der aus der Zeitschrift heraus geflogen kam.

Ich beschließe dann auch, den Toilettenbesuch zu beenden.

Was ist passiert?

Ich hatte fertig und wurde konfrontiert mit der Realität. Der Marketing-Realität des 21. Jahrhunderts: du verdienst viel Geld, hast einen tollen Job und einen ebenso tollen Partner und wohnst in einer schicken Wohnung. Du grinst vor dich hin und gehst auf tolle Konzerte – mit den Worten „Hey, wie wär’s Samstag Abend mit dem Konzert von ‚Kesha‘?“ „Ja, Schatz, bestell‘ die Karten doch einfach im Internet!“ Geld spielt wie immer keine Rolle, die Karten kosten ja schlappe 60,- € pro Person, aber das ist ja kein Problem. Sie ist Key-Accounterin und er arbeitet in einem erfolgreichen Software-Unternehmen und geht jährlich zum Gesundheits-Check-Up. Rundum gesund und erfolgreich, die Beiden. Keiner raucht, keiner trinkt einen Tropfen Alkohol, sie schauen gerne die neuesten Filme auf BlueRay in FULL-HD auf ihrem neuen Plasma-TV, haben einen Account bei musicload und machen regelmäßig Wellness-Wochenenden. Danach gehen sie selig lächelnd in’s Bett und schlafen ein.

Schon sehr super. Aber was machen die Beiden sonst noch so?

Sie leisten sich ab und zu einen schicken Urlaub…nachdem sie alle Reise-Angebote im Internet gecheckt haben. Natürlich haben sie die besten Schnäppchen fröhlich grinsend für sich entdeckt und buchen mit ihrem weißen, makellosen MacBook schon mal online.

Außerdem fahren sie 2 hübsche Autos – einen silber-metallic Golf für das Shopping-Weibchen und einen gtau-metallic Van als künftige Familienkutsche. „Künftig“ deshalb, weil sie erstmal Karriere machen möchten und sich später für ein Kind entscheiden. Vernünftig, rational, gut so – bloß nichts dem Zufall überlassen. Und in der Zwischenzeit macht der Van auch Spaß, denn er hat 230 PS und man kann das machen, was in der Werbung gezeigt wird: cruisen, offroaden und eine Menge Fun haben! Mit den „total verrückten Jungs“ aus dem Freundeskreis und den netten Kollegen…

Wie war’s denn früher?

Lachende HausfrauenGenau so! Da haben lachende Hausfrauen in den 50ern/60ern mit Bling-Bling-Lächeln dem Gatten ihre neueste Küchenmaschine vorgeführt mit den Worten “jetzt kann ich Dir Dein Lieblings-Essen noch schneller zubereiten!” Der Gatte wiederum hat sich lächelnd mit einem Mördergerät von REMINGTON glatt rasiert und sich ebenso lächelnd auf die Couch geworfen – Zeitung lesend – während die Gattin gut gelaunt den Toast Hawaii (”damit möchte ich meinen Liebsten heute überraschen!”) zubereitet hat. Später sind die Beiden mitsamt ihren wohlerzogenen Kindern zu Freunden gefahren und haben einen netten Abend verbracht. Mit Käse-Igeln und Kellergeister. Da der treu sorgende Gatte am nächsten Tag früh aufstehen musste, um seinen erfolgreichen Job zu erledigen, hat sich die ganze Familie recht früh verabschiedet und ist nach Hause gefahren, damit sie noch ein paar Seiten im Ehebett liegend im Krimi lesen und sich mit einem Kuss auf die Wange “Gute Nacht!” sagen und die Nachttischlämpchen ausknipsen konnten. Sowas wie die “Truman Show” eben.

Und wo bleibt die Realität?

Die gibt es nicht in der Werbewelt.

Es werden idealisierte, standardisierte Prototypen gezeigt, die möglichst gut ihren Job machen:  geht’s um massenkompatible Musik, wird ein HipHopper mit Arschhose gezeigt, der finster dreinblickt und ein Handy in der Hand hat. Geht’s um Independent-Musik, muss ein Grunge-Typ herhalten, der so aussieht, als hätte er den totalen Durchblick was Musik anbelangt. DSL-Tarife erfordern lächelnde Paare, die möglichst weiß gekleidet sind. Letztere sind erfolgreich, gebildet, gesund und verdienen massenweise Geld. Gerne kombiniert man die Archetypen auch: Handy-Hersteller legen mal Wert auf „Nerds“ und mal auf „Lifestsyle-Typen“.

Zeitlos sind die Mode-Werbungen. Die waren schon immer ästhetisch und unterliegen nur der Mode – was sonst? Und Autowerbungen vermitteln dem Mann grundsätzlich potente Fahrfreude und der Frau, dass das Auto praktisch ist und sich viel darin verstauen lässt. Der Mann lebt seine „Große-Jungs-Träume“ aus und die Frau will möglichst viele stylische Schuhe und Klamotten unterbringen und natürlich den „Nachwuchs“. Und sich danach mit der Freundin treffen, um zu quatschen und einen Latte Macchiato zu trinken, aber sicher nicht, um eine Parklücke zu finden.

So, mir ist jetzt übel. Aber warum? Und wie lässt sich das beheben?

Latte Macchiato, Küchenmachinen, Golf und andere Männerautos wird es immer geben, nehme ich an. Es ist einfach das ideale Bild, das Menschen per Werbung vermittelt bekommen sollen. Oder zumindest denken die Werbeagenturen, dass das so ist. Es ist vollkommen an der Realität vorbei und darum ist es auch so widerlich. Denn es gibt nicht nur die erfolgreichen, lächelnden Menschen, die ihr Leben perfekt im Griff haben, sondern auch Leute, die keinen erfolgreichen Job haben, kein tolles Auto fahren und froh sind, wenn keine Mahnung im Briefkasten liegt.

Ich trinke gerne ein Bier, verdiene momentan nicht so viel und kann mir mit Ach und Krach meinen Twingo leisten, habe keinen Full-HD-Fernseher und eine überschaubare Anzahl guter Freunde, die ich immer wieder mal regelmäßig vernachlässige. Bin 40 Jahre alt, nutze kein SKY und auch kein ENTERTAIN-PAKET. Mein Handy ist von der älteren Sorte und die Kosten für die Domain LOFT75.DE übersteigen die 4-Euro-Grenze pro Monat nicht. Aber die Werbung will mir suggerieren, dass das zu wenig ist und dass ich mehr konsumieren soll. Kredite aufnehmen, Wii kaufen, LCD-TV und den ganzen anderen Firlefanz. Weiß gekleidet und lächelnd vor der Glotze sitzen soll und mir den Werbeblock bitteschön antun soll, damit ich noch mehr unsinniges Zeug kaufe.

Aber das wird sich wohl nie ändern…

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Über Martin

Ich bin und war es immer, der Chefredakteur des alten und des neuen Loft 75, dem illustrierten Magazin aus dem 21. Jahrhundert. Geboren 1969 in einem kleinen Ort im Welterbe Oberes Mittelrheintal und somit gebürtiger Rheinland-Pfälzer. Ich habe mich bereits 1987 für Computer interessiert, bin oft kreativ und reduziere Dinge auf das Wesentliche, schreibe gerne und interessiere mich für Design, Einrichten, Internet, Kochen, Blogging und alles, was außergewöhnlich ist und außergewöhnlich gut aussieht. Privat wohne ich am Mittelrhein. Und ich freue mich, wenn Du dieses Magazin magst - lesen wir voneinander..?
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12 Kommentare
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Yvonne

Wo ist der Deinhard? 😉

Yvonne

Danke schön mein Liebster (grrr)

Martin

Oha…na dann viel Spaß beim Putzen, Darling.

Yvonne

Ach?? Außer mir sieht sie doch eh keiner

Martin

Apropos lackierte Fußnägel…schwarz wäre mal wieder hübsch 😉

Yvonne

Nö, aber an die blöde Tussi mit den lackierten Fußnägeln

Martin

Ja, aber ich denke, er kann über sich lachen und das soll absurd sein. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass Du – solltest du mal eine Tüte K. in der Hand haben – immer automatisch an Herrn Calmund denkst 😀

Yvonne

Fernab der Realität ist Rainer Calmund als Freeclaimer. Ein kleiner dicker runder Klops in der Felswand – absurder gehts gar nicht mehr, Schatz! Aber die Werbung kann uns natürlich auch nicht die kalte, harte Realität vorspielen, da würde keiner mehr was kaufen und weiß steht wohl für sauber, rein und Harmonie und wenn „du das Produkt kaufst, bist Du genauso glücklich wie die Leute in dem Spot“. Ich persönlich habe die Werbungen für das Produkt, wofür sich R Calmund hergegeben hat, schon immer gehaßt. Das Produkt wird niemals seinen Weg in meine Hände finden – schüttel.

Martin

@Aquii: ja, stimmt, aber trotzdem ist es immer wieder erschreckend, welche glatt polierten Archetypen in der Werbung gezeigt werden. Und 1&1 ist da immer wieder ein treffendes Beispiel. Alle weiß gekleidet und lachend… *würg*

@Yvonne: Ja, Schatz, das stimmt. Ich finde es trotzdem immer wieder absurd…so fernab der Realität…

@Trixi: München ist für mich diesbezüglich eine „Muster-Stadt“ mit seinen ganzen Schicki-Mickis und dem Prosecco-Getue und den Szene-Discos. Man möchte meinen, es gäbe keine normalen Menschen mehr…

Trixi

Du wirst lachen, aber genau diese von Dir beschriebene 1&1 Generation findest Du in München und Umgebung tonnenweise an und zwar nicht nur bei den ganz Jungen, sondern eben auch die Leute aus unserer Generation.
Speziell im Taxi bekommt man da sehr viel mit. Aber: solche Leut hat’s immer schon gegeben, in jeder Generation.
Ich bin inzwischen allerdings schon fast richtig froh, wenn ich einen original Münchner-Schicki-Micki im Auto hab, denn die sind inzwischen Mangelware. Neureiche aus dem ganzen Rest der Republik fallen hingegen in Scharen in München ein und verschandeln buchstäblich die ganze Stadt.
Das war für mich ein entscheidender Grund, aus München raus zu ziehen und ich werd so schnell auch nicht mehr zurückgehen…

Yvonne

Das erinnert mich an das Lied von Silbermond – a Stückl heile Welt

Aquii

Darauf basiert nun mal unser Wirtschaftssystem, dass uns Dinge eingeredet werden, die sowas von unnütz sind. Wenn du dir mal einen Tatort (jeden Mittwoch auf WDR, 23h) von vor mehr als 35 Jahren ansiehst, dann wirst du feststellen, dass rauchen und saufen auch mal hip war….. 😉