Wir alle haben schon einmal in einem Zug gesessen, vielleicht auch für eine längere Reise. Heute erzähle ich Dir von der wichtigsten Zugfahrt überhaupt – der Zugfahrt des Lebens.
THEMEN IN DIESEM BEITRAG
Das Leben ist eine lange Fahrt
Als Kind habe ich häufig Urlaub im Schwarzwald oder in Holland gemacht. Ich weiß noch, dass mir diese Zugfahrten endlos lang erschienen sind. Aber ich hatte auch immer ein „Lustiges Taschenbuch“ dabei, mit dem ich mir die Zeit vertreiben konnte, bis wir nach einer gefühlten Ewigkeit an unserem Urlaubsort angekommen sind.
Wir fuhren meist mit dem Intercity. In diesen Zügen gab es damals diese kleinen Faltblätter, die „Ihr Zugbegleiter“ hießen. Dort konnte man alles Wissenswerte über die Route des Zuges erfahren: die Haltestellen, alle Uhrzeiten, über die Bahnhöfe und über Anschlusszüge. Auf der Vorderseite war der Name des Zuges aufgedruckt, seine Zugnummer und der Start- bzw. Zielbahnhof. Und Werbung für alles Mögliche, zum Beispiel für Banken, die Post, Urlaubsregionen und Serviceleistungen, die angeboten werden wie Kofferkuli, Speisewagen und Gepäckservice.
Obwohl mir die Fahrten stets lange vorkamen, hatte man immer etwas Interessantes gesehen – entweder im Zug oder draußen vor dem Fenster. Auch das Leben ist wie eine lange Zugfahrt, auf die ich Dich gerne mitnehmen möchte. In meinem eigenen Zug.
Wir steigen ein
Am 11.01.1969 begann die Reise meines Lebens. Ich stieg um 14:50 in Braubach am Rhein in den IC 1101 ein – Ziel unbekannt. Mich hatte niemand gefragt, ob ich bereit bin für diese Reise, ich fand mich plötzlich im Großraumwagen wieder, zwischen unbekannten Menschen, in einer unbekannten Umgebung. Und langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Meine Mutter saß neben mir und passte auf, dass mir nichts passiert und ich in diesem mir noch unbekannten Zug mit den vielen Leuten keine Angst haben muss.
Im Laufe der Fahrt stiegen Leute aus und neue stiegen ein, um mich ein Stück der Reise zu begleiten. Der Zug ist eine Raum-/Zeitmaschine: er fährt vorwärts durch die Zeit und durch die Welt. Durch immer wieder neue Landschaften – mal schön, mal hässlich. Ich erlebe spannende Dinge und solche, von denen ich mir wünsche, dass sie nie stattgefunden und ich sie nie gesehen hätte.
Ich finde neue Freunde, die auch mit mir unterwegs sind. Aber während ich langsam älter werde, werden auch alle Mitreisenden, die mit mir zusammen im Zug sitzen, älter. Am Anfang merkt man das nicht so sehr, man ist ja noch jung. Nur bei denen, die von Vornherein schon älter sind, fällt es auf. Meine Mutter war 35 Jahre alt, als sie mit mir in den Zug gestiegen ist. Langsam merke ich, dass sie sich verändert und nicht mehr ganz so jung aussieht…
Während der Reise
Die Fahrt dauert schon mehrere Jahre und ich weiß immer noch nicht, wo es hingeht und wie die Endstation aussieht. Ich weiß auch nicht, wie lange die Fahrt dauern wird und welche Strecke der Zug nimmt. Während der Jahre, die vergingen, sind die meisten Mitreisenden, die ganz am Anfang noch dabei waren, ausgestiegen. Entweder, weil sie ihre Endstation bereits erreicht haben oder weil sie umgestiegen sind.
Ich bin mittlerweile ein junger Erwachsener. Und ich habe im Lauf der Zeit schon viele Haltestellen erlebt: die Grundschule, das Gymnasium, die erste Liebe, die Berufsausbildung – all das trug sich während meiner Reise bereits zu. Manche Haltestellen waren schön und interessant, manche eher trostlos und langweilig.
Viele Mitreisende sind mehrere Jahre mit mir zusammen gefahren und manche sind noch heute mit an Bord, in diesem Großraumwagen namens „Leben“. 43 Jahre, nachdem ich die Reise angetreten habe, ist eine ganz besondere Person aus einem anderen Zug zugestiegen – meine Frau. Ich habe ihr ein paar Jahre später geschworen, dass wir uns bis ans Ende der Fahrt begleiten wollen. Und so ist sie seitdem meine Reisebegleitung. Und was für eine! Sie ist klug, hübsch und mit ihr wird es nie langweilig.
Meine Mutter fährt schon seit ein paar Jahren nicht mehr mit. Sie wurde alt und krank und hatte den Bahnhof, an dem sie aussteigen musste, nach 79 Jahren erreicht. Und so stieg sie einfach aus – und war dann weg.
Die Endstation
Die schönste Reise geht einmal zuende, so auch meine Reise und die der Menschen, die mich ein Stück des langen Weges begleitet haben. Irgendwann sind wir alle am Ziel angelangt. Aber was ist dieses Ziel? Je älter ich werde, desto mehr denke ich darüber nach. Und darüber, die ich das Ziel erreiche. Ich bin jetzt schon 51 Jahre lang in diesem Zug mitgefahren und die Hälfte der Strecke habe ich schon hinter mir.
Wenn diese Reise unseres Lebens eine Urlaubsreise war, dann ist das Ziel der Urlaub. Ein schöner Ort, irgendwo am Meer, wo es warm ist, es allen Lebewesen gut geht und man sich freut, dass man dort verweilen darf. „Der Weg ist das Ziel“, sagt zumindest die asiatische Philosophie. Bei vielen Dingen im Leben möchte man einfach nur möglichst schnell das Ziel erreichen: beim Abnehmen, beim Geldverdienen, bei der Rückfahrt von der Arbeit. Einfach, weil der Weg lästig ist und das Ziel das Erstrebenswerte ist. Bei der Reise des Lebens ist das anders. Hier ahnen wir vielleicht nur, wie die Endstation aussieht, wir wissen aber nicht genau, was uns erwartet. Und außerdem ist die Reise dorthin so vielfältig und es wird nie langweilig.
Was sind Deine Gedanken dazu? Wie war Deine bisherige Reise? Und wie stellst du Dir die Endstation vor?
[…] Der Zug des Lebens: Die spannendste Reise, die Du je unternehmen wirst Ein schöner, besinnlicher Text von Martin auf Loft 75, den ich gerne gelesen habe! Regt tatsächlich dazu an, über die eigene „Lebensreise“ nachzudenken. Zum Blogpost […]
Ein schöner, besinnlicher Text, den ich gerne gelesen habe! Regt tatsächlich dazu an, über die eigene „Lebensreise“ nachzudenken. Meine dauert schon 15 Jahre länger als deine – und ich habe das Glück, seit 15 Jahren einen Reisebegleiter ungefähr deines Alters (Jg ’68) zu haben. Wir wohnen zwar nicht zusammen, sondern pflegen unseren je eigenen Wohnstil, haben aber einen großen Garten. Es ist nie langweilig, die unterschiedlichen Sichtweisen aufgrund des Erlebens der Kindheit und Jugend zu verschiedenen Zeiten ist immer wieder inspirierend!
„Zufall“ würde ich es nicht nennen, wie das Leben entstanden ist – sondern eher als zwingendes Geschehen aufgrund der Naturgesetze, wenn die entsprechenden Bedingungen zustande kommen.
Deren Zustandekommen ist allerdings Zufall, daran kann ich nicht vorbei sehen, wenn ich etwa die Geschichte der ersten fünf großen Artensterben betrachte. So raffte etwa eine Megakatastrophe vor 252 Millionen Jahren mehr als 96 Prozent der Arten im Meer und 70 Prozent allen Lebens an Land dahin – vermutlich aufgrund des anhaltenden extremen Vulkanismus in Sibirien, der mehr als 170 Billionen Tonnen CO² freigesetzt haben könnte („Sibirischer Trapp“). Oder später der Einschlag des Asteroiden, der die Dinos ausrottete – ein Zufall, der den Aufstieg der Säugetiere ermöglichte – und am Ende unsere eigene Existenz, die derzeit das 6. große Artensterben verursacht.
Machen diese Zufälle das Leben irgendwie wert- oder sinnloser? Ich denke nicht. Immerhin sind die Naturgesetze so, dass Leben und Entwicklung stattfindet – das könnte ja auch anders sein, also haben wir Grund zur Freude!
Hab‘ eine schöne Woche und eine guteJahresendzeit!
Hallo Claudia,
endlich komme ich auch mal dazu, Dir zu antworten. Es hat sich bei mir viel getan in den letzten Wochen, deshalb kam ich irgendwie nicht zum Kommentieren, Schreiben oder Lesen in anderen Blogs (mein Feedreader quillt über).
Zufall oder nicht Zufall – das ist hier die Frage. Ich weiß es nicht. So wie du schreibst, ist es natürlich schlüssig und als ein Mensch mit naturwissenschaftlicher Ausbildung und Herangehensweise zweifele ich das auch nicht an.
Aber es gibt auch immer die Frage nach dem „Warum?“ Dazu schreibe ich irgendwann mal einen längeren Artikel, der auch ziemlich philosophisch sein wird. Auf keinen Fall machen Zufälle das Leben sinnlos oder bedeutungslos. Aber ich frage mich sehr oft nach Kausalitäten, Korrelationen und dem Sinn hinter dem Ganzen – also nach dem, was sich auch die großen Philosophen der Antike gefragt haben.
Ich schließe das Jahr mit einem Artikel ab, den ich gleich schreibe, in dem ich noch mal ein bisschen alles Revue passieren lasse.
Dir auch alles Gute und bis bald!