Als ich 16 war, hatte ich mir ein Ohrloch stechen lassen. Bei einem Juwelier in Lahnstein, den es schon lange nicht mehr gibt. Natürlich links, denn damals sagte man: „Männer, die rechts einen Ohrring tragen, sind schwul!“ Was für ein Bullshit, aber so war das damals eben. Da hat man sich noch einen Kopp um sowas gemacht.
Ich trug den Ohrring, den ich meiner Mutter damals abgeluchst hatte, also mittlerweile 35 Jahre meines Lebens. Er kam direkt rein, als ich den medizinischen Ohrstecker, den man zu Beginn reinbekommt, rausnehmen konnte. Ja, und da blieb er.
Er hat meine Ausbildung miterlebt, meinen Zivildienst, diverse Todesfälle, Freundinnen, Freud und Leid. Eigentlich mein ganzes Leben als Erwachsener. Aber nach einiger Zeit ist er in der Mitte, da, wo das Scharnier ist, ins Ohrläppchen eingewachsen. Blöd, aber man arrangiert sich irgendwann damit, dass man ihn nicht mehr herausbekommt. Aber seit einiger Zeit bereitete er mir Ungemach: Die Schließe funktionierte nicht mehr richtig und ich hatte keinen Bock mehr auf ihn. Also musste er raus.
Also hatte ich heute beim Chirurgen einen ambulanten Termin zwecks Entfernung – denn ich bekam ihn trotz roher Gewalt selbst nicht mehr raus. Kleine Spritze, ein bisschen Gefummele und das war’s – Pflaster drauf und gut. Morgen noch mal zur Nachsorge, dann ist das Thema durch.
Ich möchte gerne wieder einen Ohrstecker tragen, aber mein Geschmack hat sich in den letzten 35 Jahren natürlich geändert. Ich habe schon einen neuen, schwarzen, runden. Der kommt rein, wenn ich mir nach dem Abheilen wieder ein Ohrloch stechen lassen kann. Und da werde ich natürlich aufpassen, dass er nicht mehr einwächst.
Für mich war es nie ein Thema, weder Tattoos noch Ohrringe. Wahrscheinlicht liegt es daran, dass mir Veränderungen so ungemein wichtig sind. Ich habe meinen Ehering vor langen Jahren verloren, einen neuen gekauft (sogar segnen lassen) und ihn dann für ewig in der Schublade verschwinden zu lassen. Ich hatte eine Kette mit einem Zahn, gekauft Anfang der 70er im spanischen Marbella. War echt teuer aber der hatte es mir angetan. Nach dem Urlaub hab ich ihn kaum mehr getragen. Für solche Dinge bin ich zu unbeständig. Nicht auszudenken, ich hätte ein Tattoo. Abgesehen davon, dass ich viel zu dick geworden bin, um an sowas noch Freude zu haben, der Wunsch nach Änderung wäre teuer und schmerzhaft geworden.
Hallo Horst, ja, das kann ich nachvollziehen. Bei mir ist es so, dass ich Körperschmuck schon immer faszinierend fand. Nicht die Extreme, wo bis zur Unkenntlichkeit Verpiercte und Tätowierte keinen Zentimeter ihrer Haut verschont haben, sondern eher die dezente Schiene. Ringe mag ich sehr gerne, Armbänder auch und natürlich schöne Tattoos. Die Vorstellung, dass man irgendwann mit so einem Tattoo begraben oder eingeäschert wird – kurz: dass es einen bis zum Lebensende begleitet, ist in meinen Augen das Faszinierende daran. Es ist für die Ewigkeit. Und ich sehe es als schickes Accessoire 😉