Das Heteromöhrenfamilienproblem Politische Plüschtiere? Nein danke!

Vorgestern ist Ina aus purem Zufall ein Artikel in einem Online-Magazin unter die Augen gekommen, den ich nicht unkommentiert lassen möchte. Es geht um Stoffmöhren. Also Kuschel-„Gemüse“. Aldi Süd bietet die zurzeit an, und zwar eine komplette kleine Möhrenfamilie aus kuscheligem Plüsch, bestehend aus Kai Karotte, Karla Karotte und den Kindern Merle, Mia und Michel. Sehr süß und schon seit einiger Zeit die Weihnachts-Werbefiguren von Aldi Süd.

Nun ist es ja so, dass es sich um eine kleine Familie handelt, also Mama, Papa und Kinder. Das ist anscheinend für eine Autorin, die für das Online-Magazin wmn schreibt, das zur Funke-Mediengruppe gehört, ein Riesenproblem. Denn die Dame ist in ihrem Artikel „Aldi-Möhrenfamilie: Der Discounter hat eine Chance zur Integration verpasst“ der Meinung, dass dadurch Schwule, Lesben, Transgender, Bisexuelle und Menschen mit anderen queeren Lebensweisen möglicherweise diskriminiert werden. Warum? Weil es sich um eine „klassische Familie“ handelt und es doch ganz viele andere Lebensmodelle gibt, die unbedingt berücksichtigt werden sollten, müssten oder könnten. Darauf muss man erst mal kommen. Daraus Diskriminierung abzuleiten, ist nicht nur hanebüchen, sondern erweist der LGBTQ+-Community auch einen Bärendienst: denn man kann nur noch den Kopf schütteln, wie man auf eine solche lächerliche und abwegige Idee kommen kann, hier Diskriminierung und fehlenden Willen zur Integration zu wittern. Aber lest Euch doch zunächst einmal – falls Ihr es noch nicht gemacht habt – den Artikel durch, kommt dann hierher zurück und lest bei mir weiter: ursprünglichen Artikel hier lesen

So, habt Ihr den Artikel gelesen? Prima. Dann habt Ihr Euch vielleicht auch gefragt, woher die Autorin weiß, dass nicht möglicherweise Karla Karotte transgender ist, Merle lesbisch und Kai bereits in zweiter Ehe verheiratet und nicht der leibliche Vater der Möhrenkinder?

Sind wir mal ehrlich: die Plüschmöhrenfamilie ist auch nicht dunkelhäutig (beschweren sich Black Life Matters-Aktivisten? Nein.). Sie ist auch nicht gehandicapt, denn keine der Möhren ist im Rolli unterwegs (beschweren sich Behindertenverbände? Nein.) Die Familie Karotte bildet lediglich die Lebensrealität einer stinknormalen, netten Hetero-Familie ab, wie es Millionen davon in Deutschland gibt. Da ist in meinen Augen nichts Verwerfliches dran.

Verwerflich ist es hingegen, Plüschfiguren zu politisieren und mit Pseudo-Betroffenheitsthemen aufzuladen. Zu fordern, dass in jedem Lebensbereich auch andere sexuelle Modelle, Hautfarben, Religionen und weiß der Kuckuck was noch alles bitteschön überproportional abgebildet und gebührend erwähnt werden, schießt nicht nur vollkommen am Ziel vorbei, sondern führt die gute und wichtige Sache (Menschenrechte, Diskriminierung, Hass gegen Minderheiten, etc.) komplett ad absurdum und führt nur zu Kopfschütteln und Befremdung.

Ziemlich traurig und gleichzeitig paradox finde ich übrigens auch, dass die Autorin schreibt, sie selbst sei ein Scheidungskind und wisse ganz genau, dass das traditionelle Elternhaus nicht die Norm ist. Sie ist also diesbezüglich keine Normalität gewöhnt – aber wäre sie, wie viele andere Kinder auch, damals nicht froh und dankbar gewesen, in einer harmonischen, freundlichen Möhrenfamilie aufgewachsen zu sein? Hätte sie sich nicht selbst diese Normalität gewünscht? Sollte man eine glückliche, liebevolle und fröhliche Familie nicht generell als wünschenswert erachten? Spielt es da überhaupt eine Rolle, welche Geschlechtsidentität die Familienmitglieder haben?

Die Autorin schreibt auch: „Stattdessen gibt es ganz viele wunderbare Familienkonstrukte, die irgendwie alle normal sind.“ Sie meint sicher nicht die Beziehungen, in denen der Vater säuft und seine Frau verprügelt oder die Mutter Hartz IV bekommt und nicht weiß, wovon sie ihre Kinder ernähren soll. Und auch sicher nicht die Väter, die eine Frau nach der anderen aufreißen, mit nach Hause nehmen und das Kind sich anhören darf, wie im Nebenzimmer jeden Abend jemand anderes stöhnt. Und ganz sicher auch nicht die Familien, in denen Kinder von ihren Elite-Eltern zu kleinen Karriereschweinen erzogen werden und diese daran schließlich zerbrechen. Wenn man so will, sind auch das „Familienkonstrukte“, aber die wenigsten kämen wohl auf die Idee, diese als normal oder gar wunderbar zu bezeichnen. Nein, ich denke, die Autorin hat einen bisexuellen türkischen Mann (Atheist), einen belgischen Transgender (Moslem, sic!) und ein „totaaal normales“ Kind vor Augen, die allesamt in einem hübschen Altbau in Berlin Kreuzberg wohnen, nur im Bioladen einkaufen und mit dem Lastenrad zu den nachhaltigen Eltern-Kind-Ferien nach Klein-Bullerbü fahren. Ja, sowas in der Art ist es sicherlich. Und es ist vor allem eins: unrealistisch.

Etwas merkwürdig platziert liest man in dem Artikel auf wmn auch einige ausgewählte Kommentare. Allerdings nicht in einem Kommentarbereich, sondern unter einer Zwischenüberschrift im Artikel.

Janosch schreibt: „Der Fortschritt steht unaufhaltsam vor der Tür. Aber eine heteronormative Familie als „diskriminierend“ zu bezeichnen, weil queer fehlen würde, ist mehr als lächerlich.

Ich, als bisexueller Mann, bitte Sie daher, Ihren Artikel runterzunehmen. Sie repräsentieren damit nicht die Ansichten der LGBTQ+ Community, sondern werfen ein schlechtes Licht auf uns. Sie belästigen Aldi mit einem falschen Diskriminierungsvorwurf, der wiederum auf die LGBTQ+ Community zurückfallen könnte. […]“

Das sehe ich genau so wie Janosch: wenn LGBTQ+ nicht als überspannt, spaßbremsig und negativ wahrgenommen werden soll, dann sollte man vielleicht darauf verzichten, eine politische Haltungsdiskussion loszutreten, die nur dazu dient zu politisieren, zu spalten und Unverständnis hervorzurufen. Oder anders gesagt: die kleine Möhrenfamilie verzeiht Euch bei wmn sicher den peinlichen Artikel, wenn Ihr aufhört, so einen reaktionären Mist zu schreiben. Im Gegenzug adoptieren wir auch gerne eine kleine Karottenfamilie, wenn wir das nächste Mal bei Aldi Süd sind.

Was denkt Ihr: peinlich, witzig oder wichtig? Hetero- oder lieber Regenbogenmöhren? Wie weit darf Aktionismus gehen? Schreibt gerne in den Kommentaren, was Euch zu dem Thema durch den Kopf geht. Weitere Reaktionen zu dem wmn-Artikel gibt es auch hier.

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Über Martin

Ich bin und war es immer, der Chefredakteur des alten und des neuen Loft 75, dem illustrierten Magazin aus dem 21. Jahrhundert. Geboren 1969 in einem kleinen Ort im Welterbe Oberes Mittelrheintal und somit gebürtiger Rheinland-Pfälzer. Ich habe mich bereits 1987 für Computer interessiert, bin oft kreativ und reduziere Dinge auf das Wesentliche, schreibe gerne und interessiere mich für Design, Einrichten, Internet, Kochen, Blogging und alles, was außergewöhnlich ist und außergewöhnlich gut aussieht. Privat wohne ich am Mittelrhein. Und ich freue mich, wenn Du dieses Magazin magst - lesen wir voneinander..?
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Simon

Hallo!
Ihre Artikel interessieren mich. Danke, dass Sie sie mit uns teilen. Ich hoffe, bald mehr aktualisierte Artikel von Ihnen zu lesen. Alles Gute und viel Erfolg für Sie!

Mit Simon Grüßen,

DrSchwein

Es sind Plüschfiguren. Die findet man süß oder eben nicht.
Der Artikel bestätigt nur, dass wir verloren sind.

Dr. Nerd

Hi Martin,
ich hatte diesen Artikel schon mal gelesen, aber nichts dazu geschrieben, weil ich meine Zeit nicht mehr mit dem lesen von solch dämlichen Beiträgen verschwende.
Nein, nicht mit deinem, sondern den auf den Du dich hier beziehst. Diese ganzen Vollpfosten, die mit Ihrem eigenen Leben unzufrieden sind und glauben andere Menschen „bekehren“ zu müssen!
Dazu wird jede aber auch wirklich jede hanebüchene Gelegenheit ergriffen und das dämlichste Beispiel konstruiert um der eigenen kaputten Existenz eine Lebensberechtigung oder wenigstens eine gewisse Wichtigkeit zu bescheinigen.
Wie scheisse muss man drauf sein um so ein Gedankenmodell an ein, an den Haaren herangezogenem Beispiel, festmachen zu wollen.
Leider gibt es diese Bekehrer zu Hauf. Und egal in welchem Bereich. Und immer, wirklich immer sind es Leute, die es überhaupt nicht betrifft. Sitzen in Talk-Shows als Experten und sabbeln Blödsinn. Oder wie kann ein hellhäutiger Mensch, der niemals den Rassismus an Farbigen erlebt hat sich als Experte über Rassismus aufspielen und anderen Weißen vorschreiben was man zu sagen hat. Alleine der Begriff „POC“ ist meiner Meinung nach schon eine Beleidigung weil es sich ausgesprochen als POCK anhört, was lautmalerisch sowohl ähnlichkeit mit dem englischen Wort Pork (Schwein) hat, als auch mit dem Wort SCHMOCK (einer Beleidigung aus dem jüdischen Sprachraum). Aber so ist das mit Experten – hauptsache irgendwas vermeintlich richtiges schwafeln. Ahnung oder wirkliches Wissen braucht man ja nicht um als Experte im Fernsehen auftreten zu können oder Likes in den SoMes zu kriegen. Ich überlege ob ich mich mal als Experte für die Flacherde und Reptiloiden einladen lassen soll.
Ein Freund von mir hat dazu mal laut gedacht, dass eigentlich genau diese Menschen, die sich selber als Beschützer der Farbigen darstellen aufgrund Ihrer Rolle Rassisten sind. Bei genauerer Überlegung stimmt das sogar:
Wer andere Menschen als schützenswert einstuft um denen zu helfen stellt sich im gleichen Moment über Sie und wertet Sie quasi ab – ja und genau das ist Rassismus.
Denn die Farbigen sind nicht mehr ungebildete Tagelöhner auf Baumwollfarmen. Sie gehen auf Universitäten, sitzen in Vorständen von Firmen, verdienen etliche Millionen als Spitzensportler, sind sogar Vizepräsident in den USA. Sie haben also sowohl die soziale Stellung, die Bildung und genug Manpower um ihre Wünsche vorzutragen.
Da muss man sich nicht als Weißer vor die stellen und versuchen schlau zu kacken..
Und genau so sieht es auch bei den Experten in Sachen Feminismus aus, und allen anderen Diskriminierungen von denen ich bis Anfang der Corona-Krise nicht mal wusste, dass es die gab: Mobbing? Body-Shaming? Gendern? Black Facing? Cultural Appropriation? Und was weiss ich noch, was jetzt so alles gerne von den „Experten“ geächtet werden soll, wenn Die dir gewogen bleiben wollen. Egal was Du schreibst oder sagst, es wird immer einen Vollidioten geben, der sagt, dass es falsch ist.
Im Ernst? Die können mich alle mal!
CU
P.

Miki

Du kriegst die Tür nicht zu…!
„Alle bekloppt“… denke ich manchmal und manchmal 3x täglich.
Es ist ja so schon schlimm, dass jeder Heini jeden Senf von sich geben und irgendwo publizieren kann und viele Menschen noch dem Irrglauben unterliegen, „da muss was dran sein“, aber wenn selbst „Magazine“ ( mit einem gewissen Informationsauftrag) solchen Mist durchwinken, fällt mir gar nichts mehr dazu ein….
Bei der Gelegenheit liebe Grüße zu dir, man läuft sich ja nicht mehr über den Weg, wünsche euch ein schönes Weihnachtsfest, bleibt gesund, viele Grüße Miki

Freichrist343

Nötig ist eine öko-konservative Politik. Eine christlich-konservative Haltung ist zu befürworten; aber ein bibeltreuer christlicher Fundamentalismus ist abzulehnen. Bitte googeln: Manifest Natura Christiana

Freichrist343

@ Martin
Hahaha …….
Warum greifen Sie ausgerechnet dieses Zitat heraus?! Es gibt doch viel interessantere.